H. v. Seggern: Geschichte der Burgundischen Niederlande

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Titel
Geschichte der Burgundischen Niederlande.


Autor(en)
Von Seggern, Harm
Erschienen
Stuttgart 2018: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maximilian Krüger, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Die burgundischen Niederlande waren ein aus dem Königreich Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich herausgelöster Herrschaftsverband, den die ersten drei Herzöge des jüngeren Hauses Burgund durch Kauf, Heirat, Erbschaft und Krieg gewonnen hatten. Der ökonomische Reichtum dieser Länder ermöglichte die Friedens- und Kriegspolitik eines Staates, der in weniger als einhundert Jahren zu einer dritten Macht in Europa aufgestiegen war. Die Grafschaften und Herzogtümer der burgundischen Nebenlande, die die Herzöge wie Kettenglieder aneinander geschmiedet und nach und nach in ihren Herrschaftskomplex integriert hatten, waren dabei heterogene Länder, mit eigenen Ständen, Rechten und Privilegien. Dieses Reich zu beherrschen, das teilweise dem französischen König, teilweise dem römisch-deutschen König lehenspflichtig war, setzte politische Klugheit voraus. Unter Karl dem Kühnen (1433–1477) stand Burgund auf dem Höhepunkt seiner Macht – ganz Europa blickte auf den reichsten und mächtigsten Fürsten des Abendlandes, der eine Krone über alle burgundischen Länder und das römisch-deutsche Königtum für sich einforderte. Doch der von Hybris geblendete Burgunder, der seinem eigenen schrecklichen Untergang in der Schlacht von Nancy (1477) entgegenjagte, riss den Staat mit sich in den Abgrund.

Die meisten Darstellungen über Burgund und seine Herzöge, wie auch das Standardwerk von Joseph Calmette1, enden mit Karl dem Kühnen, da das Herrscherhaus nun faktisch ausgestorben und das alte Herzogtum als erledigtes Lehen wieder an die französische Krone zurückgefallen war. Das Schicksal der burgundischen Niederlande aber nahm einen anderen Verlauf und folglich geht Harm von Seggern in seiner Darstellung über die Schlacht von Nancy hinaus. Das Buch ist, neben einer einleitenden Einführung über die niederen Lande vor ihrer Einbindung in den burgundischen Herrschaftskomplex, in vier Hauptkapitel unterteilt, in denen die Herrschaft des jüngeren Hauses Burgund und des Hauses Habsburg, unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der burgundischen Niederlande betrachtet wird.

Das erste Kapitel „Der Auftakt“ beginnt bei Philipp II. dem Kühnen (1342–1404) und seiner Belehnung mit dem Herzogtum Burgund. Die lehensrechtlich zugehörige Freigrafschaft Burgund nahm Philipp II. 1384 in Besitz, gemeinsam mit den durch Heirat erworbenen Grafschaften Flandern, Nevers, Rethel und Artois. Da Johann Ohnefurcht (1371–1419) eine vorwiegend frankreichzentrierte Politik betrieb, ist es nur konsequent, dass die Geschichte des zweiten Herzogs im ersten Kapitel mitbehandelt wird.

Auch Philipp III. der Gute (1396–1467) verfolgte konzentriert, wie im zweiten Kapitel „Der Ausbau“ gezeigt wird, die territoriale Ausrichtung in den nördlich und östlich an Flandern anschließenden niederen Lande. So fielen die Grafschaften Namur (1421), Hennegau (1428), Holland und Seeland (1432) und die Herzogtümer Brabant und Limburg (1430) an Burgund.

Die Politik Karls des Kühnen wird im dritten Kapitel „Die Festigung“ nachgezeichnet. Deutlich stellt von Seggern heraus, wie der Herzog, der die Macht der Städte brechen wollte, die konsensuale Herrschaft von oben aufkündigte. Als ein „un-mittelalterlicher“ (S. 116) Herrscher, der mit alleiniger und voller Macht auftrat und der als „Städtefeind“ (S. 127) ihre Rechte, Freiheiten und Privilegien beseitigte, wurde er von seinen Untertanen wahrgenommen. Dem vierten Herzog gelang es durch die Eroberung der Herzogtümer Bar und Lothringen (1475), die nördlichen mit den südlichen Territorien gewaltsam zu verbinden. Doch die machtpolitischen Verschiebungen führten zu den Burgunderkriegen (1474–1477). Nach zwei fürchterlichen Niederlagen ging vor Nancy der Traum von einem burgundischen Großreich unter.

Das vierte Kapitel „Die Umformung“ thematisiert den Herrschaftsübergang an die Habsburger unter Erzherzog Maximilian von Österreich (1459–1519), der die Tochter Karls des Kühnen Maria (1457–1482) geehelicht hatte. Der Kaisersohn konnte die angeheirateten niederburgundischen Länder des sich in partieller Auflösung befindlichen Staates gegen die französischen Könige im burgundischen Erbfolgekrieg (1477–1493) und, nach dem Tod der Herzogin, gegenüber den Ständen (1482–1489) verteidigen. Als fünfter Herzog von Burgund führte Maximilian de iure uxoris die dynastische Traditionslinie der Valois-Herzöge (S. 215) und die damit verbundenen Ansprüche auf das eigentliche Herzogtum Burgund und die Freigrafschaft weiter. Den landesfremden Habsburger hatten die Stände nicht als ihren Fürsten anerkennen wollen. Völlig anders verhielt es sich bei dem in Brügge geborenen Philipp dem Schönen (1478–1506), den man als natürlichen Herrn betrachtete und dessen Herrschaftsanspruch evident war (S. 182). Unter Philipp IV. wurde die habsburgische Herrschaft weiter konsolidiert und die landesherrschaftliche Stellung gegenüber den Städten gestärkt. Nach Philipps unerwartetem Tod regierte seine Schwester, Margarete von Österreich (1480–1530), für ihren Vater Kaiser Maximilian die burgundischen Niederlande, die von nun an, mit Ausnahme der Jahre 1515–1517, unter der Herrschaft von Stadthalterinnen blieben.

Die nicht unbedeutende Frage, wie lange die burgundischen Niederlande existierten, ist dabei schwierig zu beantworten. Die Vorgeschichte kann man wahlweise frühestens bei der Belehnung Philipps des Kühnen (1364), der flandrischen Heirat (1369) oder der faktischen Vereinigung des Herzogtum Burgunds mit dem flandrischen Heirats- und Erbgut (1384) beginnen lassen. Von Seggern nimmt die beiden ersten Herzöge, deren Politik auf das französische Königtum ausgerichtet war, davon aus, was auch in der Titelgebung des ersten Kapitels, dass mit Auftakt überschrieben ist, deutlich wird. Die entscheidende Formierung aber vollzog sich, wie der Autor konstatiert, tatsächlich unter Philipp dem Guten, der bis 1435 eine Reihe von Fürstentümern erwerben konnte, die zum Heiligen Römischen Reich gehörten. „Erst in dieser Phase wurde der Herrschaftskomplex so sehr erweitert, dass man ab dieser Zeit von den burgundischen Niederlanden (im Plural) sprechen kann“ (S. 72). Den Schlusspunkt der burgundischen Niederlande setzt von Seggern mit dem Damenfrieden von Cambrai (1529), der den Krieg zwischen Habsburgern und Valois mit einem vorläufigen Vergleich beendete. Die Wahl des Damenfriedens ist insofern stringent, da diese aus dem Blickwinkel eines sichtbaren territorialen Prozesses resultiert, nämlich, dass die aus der französischen Lehenshoheit entlassenen Grafschaften Flandern und Artois an das Heilige Römische Reich übergingen, womit „die Entstehung der Niederlande als eigenständiges Herrschaftsgebilde“ (S. 248) abgeschlossen wurde.

Das historisch greifbare Ereignis des Damenfriedens als Ende der burgundischen Niederlande ist dabei ein möglicher, aber kein finiter Zeitpunkt. Verwiesen sei hier auf Walter Prevenier und Wim Blockmans2, die, mit Blick auf eine zunehmende spanische Dominanz (1530), eine sozialkulturelle und damit indifferentere Perspektive einnehmen. Auch die Abdankung Kaiser Karls V. (1500–1558) im Jahre 1556 wäre ein alternativer Schlusspunkt, da durch die Trennung der Dynastie in eine spanische und österreichische Linie aus den burgundischen Niederlanden spanische Niederlande wurden und „aus der geographischen wie geistigen Mitte des ‚Weltreichkaisertums‘ Karls V. in die Stellung eines peripheren Nebenlandes der südwesteuropäischen Partikularmacht“3 fielen. Ein geradezu symbolisches Ende der burgundischen Niederlande wären die Begräbnisfeierlichkeiten für Karl V. Mit dem letzten Burgunder, der zu Grabe getragen wurde, scheint gleichermaßen das burgundische Bewusstsein verloschen zu sein.

Harm von Seggern hat mit dem vorliegenden Band einen wichtigen Beitrag geleistet – insbesondere deshalb, weil die neuere deutschsprachige Literatur zu diesem Gegenstand überschaubar ist. Das Buch spiegelt den gegenwärtigen Stand der Forschung, wobei der Autor einleitend einen Überblick zu den Standardwerken der Literatur gibt und auf Forschungsdesiderate aufmerksam macht. Ein thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis mit ausgewählten Titeln, an das sich ein Personen- und Ortsregister anschließt, vervollständigen den Band.

Die Innen- und Außenpolitik der Herzöge, fürstliche Hofkultur, adelige Lebenswelten und Stadtkultur, die Auseinandersetzungen zwischen Landesherrn und Ständen, die zahlreichen Akteure – all dies kann daher lediglich in Ansätzen behandelt werden. Und doch gelingt es von Seggern, auch durch einen angenehmen, den Leser einladenden Schreibstil, eine konkrete Vorstellung von den burgundischen Niederlanden zu vermitteln: präzise, ohne das Sujet verkürzt darzustellen – intensiv, ohne sich im Detail zu verlieren. Wie im Vorwort eingeräumt wird, handelt es bei der vorliegenden Ausgabe um eine erheblich gekürzte Fassung. Doch gerade im Verzicht liegt der Gewinn dieses Buches, denn dem interessierten Publikum und Studierenden des Fachs steht neben dem handlichen Beck Wissen-Titel von Hermann Kamp4 nunmehr eine übersichtliche, moderne überblicksartige Darstellung der Geschichte Burgunds, der burgundischen Niederlande und der burgundischen Herzöge zur Auswahl.

Anmerkungen:
1 Joseph Calmette, Les grands ducs de Bourgogne, Paris 1949 (deutsch: Die großen Herzöge von Burgund, aus dem Französischen von Eleonore Seiz und Hermann Rinn, München 1996).
2 Walter Prevenier / Wim Blockmans, In de ban van Bourgondië, Houten 1988 (englisch: The promised lands. The Low Countries under Burgundian rule, 1369–1530, aus dem Niederländischen von Elizabeth Fackelman, Philadelphia 1999).
3 Heinz Schilling, Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach, München 2020, S. 61.
4 Hermann Kamp, Burgund. Geschichte und Kultur, München 2007.

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